Danach wird alles besser. Sagt er.
Vor jedem Danach kommt ein Zuvor. Heißt es.
Aber in Wahrheit ist das Danach nur ein Hinauszögern des Zuvors: Wenn ich erst mal einen Job habe, eine neue Wohnung, ein Auto, wenn erst einmal die Hämatome abgeklungen sind, so dass ich die Ärmel wieder hochkrempeln kann, dann, ja dann …
Er schleudert mir seine Danachs entegegen. Ich aber will das Zuvor frei legen. Mich interessiert nicht, was ich tun kann, wenn ich die Eins in den eins zu hundertvierzig Millionen Gewinnchance beim Lotto gezogen habe. Mich interessiert nicht, was passiert, wenn alles gut geht, das Kinderspiel mit links erledigt ist, die Lappalie, der Klacks. Mich interessiert, was passiert, wenn mir graue Haare wachsen, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist, wenn Murphy wieder zuschlägt. Denn er schlägt zu, jedes Mal, jeden Tag, immer und immer wieder.
Danach steht für nichts anderes als: nur noch ein einziges Mal. Und wie jeder weiß, der einmal Kind war, kommt nach dem allerletzten, ein allerallerletztes Mal. Es ist wie bei den Zahlen: es gibt immer eine, die noch größer ist. Es kann immer noch schlimmer kommen.
Danach steht für: morgen, da klappt es. Aber morgen ist nie. Es ist immer nur heute. Und aus dem Heute und dem rotzverschmierten, aufgequollenen, trübaugigen, siebzehnjährigen Gesicht starrt mir etwas entgegen, das ich in meinem Danach-Glauben für Hoffnung halte. Und es gelingt mir nicht, dieser Hoffnung die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Es gelingt mir nicht, die Nabelschnur zu kappen, einen sauberen Schnitt, wie man so schön sagt, durchzuführen, um letztendlich meine eigene Haut zu retten.
Der Begriff Grenzen setzen, erlangt eine ganz neue Bedeutung. Wie der Zocker, wie der Börsenmakler muss ich ein Limit setzen, eine Zahl, eine Vorgabe. Wird diese unter- oder überschritten, je nach Definition, wird die Reißleine gezogen. Unter x Euro je Aktie, nach mehr als soundsoviel Tausend Euro Verlust, nach der dritten abgebrochenen Entziehungskur wird abgestoßen, das Wettbüro verlassen, das Wertpapier verkauft, der Sohn fortgejagt.
Man kann dem eigenen Gefühl nicht mehr trauen. Es ist von dem Danach-Virus infiziert, von dem nur noch einmal, nur noch diese Reha, nur noch diese Klinik, danach, danach wird alles wieder gut.
Professionelle Zocker wissen das. Sie können damit umgehen. Sie handeln nach Zahlen. Mütter sind dafür genetisch nicht gerüstet.
Danach kauft Zeit. Lange dachte ich, die Zeit diene dazu, den ersten Schritt hinauszuzögern, die Sicht auf das Danach freizuschaufeln. Doch das Wesen, das einmal mein Kind war, kann mit der erstohlenen Zeit nichts anfangen. Sie ist bedeutungslos geworden, sitzt in seinem Gehirn in einer Endlosschleife fest. Es ist der Virus, das Danach, das die Zeit braucht. Es nistet sich in einer Person ein, verkappt sich als Hoffnung und infiziert alle, die daran glauben, bis auch die nur noch in Danachs denken.
Danach wird alles besser. Wenn er erst mal auf Methadon, aus diesem Haus raus ist, wenn ich weiß, unter welcher Brücke er haust, so dass ich ihn regelmäßig mit Decken und heißer Brühe versorgen kann.
Aber es stimmt nicht. Es gibt nur ein einziges Danach, wonach alles besser ist: Wenn er tot ist.
Wenn er tot ist, ausgewischt, ausgelöscht, ausradiert, aus meinem Gedächtnis getilgt, dann geht mein Leben weiter. Wenn ich über das Schlimmste hinweg bin, wenn etwas Gras über die Sache gewachsen ist, wenn ich in einer neuen Stadt Fuß gefasst habe. Aber zuerst, zuerst gönne ich mir noch einen kleinen, allerletzten Schluck Apfelkorn, den Rest der Flasche, wäre doch schade drum. Dann ist die Flasche leer und es ist aus und vorbei und vorüber.
Und danach beginne ich mein neues Leben.